Kurzinhalt

Wien, 1938: Österreich wird vom Nazi-Regime besetzt. Kurz bevor der Anwalt Bartok mit seiner Frau Anna in die USA fliehen kann, wird er verhaftet und in das Hotel Metropol, Hauptquartier der Gestapo, gebracht. Als Vermögensverwalter des Adels soll er dem dortigen Gestapo-Leiter Böhm Zugang zu Konten ermöglichen. Da Bartok sich weigert zu kooperieren, kommt er in Isolationshaft. Über Wochen und Monate bleibt Bartok standhaft, verzweifelt jedoch zusehends – bis er durch Zufall an ein Schachbuch gerät.

Stefan Zweig und sein letztes Werk

Ein Text von Prof. Dr. Klemens Renoldner

Vorgeschichte

Im Februar 1934, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland, verließ Stefan Zweig Österreich. Grund dafür sind die enormen NS-Sympathien und der Antisemitismus in Österreich. Sechseinhalb Jahre lebte er in England. Von Sommer 1940 bis Anfang Januar 1941 hielt er sich in Brasilien auf, anschließend, bis August 1941, in den USA. Hier arbeitete er vor allem an seiner Autobiographie „Die Welt von Gestern“, die er im Juli 1941 in erster Fassung niederschrieb.

Entstehung der „Schachnovelle“

Am 15. August 1941 verlassen Stefan Zweig und seine zweite Ehefrau Lotte New York mit dem Schiff. Es ist auch jene Seeroute, die in der „Schachnovelle“ beschrieben wird: New York-Buenos Aires. Das Ehepaar Zweig fährt jedoch nur bis Rio de Janeiro. Drei Wochen halten sie sich in Rio auf, ab Mitte September 1941 wohnen Lotte und Stefan Zweig in der Stadt Petrópolis, 70 km nördlich. An diesem letzten Ort seines Exils schreibt Stefan Zweig zwischen September 1941 und Februar 1942 die „Schachnovelle“.

Die Idee entsteht während der Schiffsreise. Am 17. September 1941 – es ist der erste Tag in Petrópolis – berichtet Zweig in einem Brief, er „plane“ eine „abseitige Novelle“. Am 28. Oktober 1941 schreibt er an Berthold Viertel, er habe „eine kuriose Novelle entworfen … mit einer eingebauten Philosophie des Schachs. Ich habe sie aber noch nicht abgeschlossen.“ Am 30. Januar 1942 teilt er Viertel mit, dass er „eine aktuelle längere Erzählung“ verfasst habe.

Am 6. Februar 1942 bittet er Ernst Feder, einen Berliner Journalisten, der ebenfalls in Petrópolis im Exil ist und mit dem Zweig gelegentlich Schach spielt, die vorläufige Fassung der „Schachnovelle“ kritisch durchzusehen, auch um eventuelle Fehler, die Regeln des Schachspiels betreffend, auszubessern. Bereits am 10. Februar wird das Manuskript zurückgegeben, in sein Tagebuch notiert Feder an diesem Tag, „er (Zweig) ist entzückt über die vielen Anmerkungen.“ Am Vormittag des Samstags, 21. Februar 1942, bringt Stefan Zweig drei Typoskripte der „Schachnovelle“ zum Postamt in Petrópolis, für die deutsche, amerikanische und argentinische Ausgabe. Ein viertes Typoskript bleibt in Brasilien für die Übersetzung in Rio de Janeiro. Am Sonntagabend, 22. Februar 1942 nehmen Lotte und Stefan Zweig eine Überdosis Veronal. Sie sterben in der Nacht von 22. auf 23. Februar. Am 24. Februar werden sie am städtischen Friedhof von Petrópolis beigesetzt

Hintergrund

Die „Schachnovelle“ entsteht gleichzeitig wie der (Fragment gebliebene) Österreich-Roman „Clarissa“ und die Erinnerungen „Die Welt von Gestern“. Während seiner Exil-Jahre befasst sich Zweig intensiv mit seinen Wiener Jahren und dem Verlust seiner Heimat Österreich. Auf die Zerstörung der europäischen Demokratien durch autoritäre Regierungen und Faschismus reagierte Zweig mit der Beschwörung des alten Wiens als kosmopolitischer, kultureller Metropole. Damit verbunden sind auch Erinnerungen an die eigene ungebundene Lebensform in den europäischen Freundeskreisen. Dr. B. – so heißt der katholische Anwalt im Text bei Zweig – ist zwar kein autobiographisches Alter-Ego des Verfassers, aber doch ein Repräsentant jener Welt von Gestern. Dr. B. ist humanistisch gebildet, seine Familiengeschichte verweist (bei Zweig) auf Verbindungen zum Kaiserhaus und zum 8 Freundeskreis Franz Schuberts. Diese ideale Welt von Kultur und Intellektualität wird im März 1938 von den Nationalsozialisten auf brutale Weise zerschlagen.

Zweig war schon in England, später auch in New York, dann in Rio, mit vielen Emigranten in persönlicher Verbindung. Er wusste durch zahlreiche persönliche Berichte und Briefe, was ab 1933 in Deutschland geschah, und ab dem März 1938 in Wien und Österreich. Er wusste nicht nur von den Konzentrationslagern, sondern auch von der „Gestapo-Leitstelle Wien“, die im früheren Luxus-Hotel Métropole untergebracht war, nun ein Ort des NS-Terrors, der wegen der brutalen Verhörmethoden und Folterungen gefürchtet war.

Zweig hat sich natürlich mit Literatur zum Thema „Schach“ versorgt, insbesondere war ihm das Buch von Savielly G. Tartakower „Die hypermoderne Schachpartie“ (1924) behilflich. Er selbst spielte auch seit seinen jungen Jahren in Wien Schach. Erstaunlicherweise spielte er sogar am Abend vor seinem Suizid mit Ernst Feder noch zwei Partien, die er jedoch beide verlor. Wie wichtig für Zweig die „Schachnovelle“ war, kann man daran erkennen, dass er diesen Text, im Gegensatz zu mehreren anderen Manuskripten, die Fragment geblieben sind, zu Ende bringen wollte. Die „Schachnovelle“, in der viele ein Vermächtnis des 60-jährigen Autors sehen, besitzt deswegen einen besonderen Stellenwert innerhalb des erzählerischen Werks, weil Zweig hier ein einziges Mal die unmittelbare Zeitgeschichte, die Verbrechen des Nationalsozialismus zum Thema macht.

Nachdem alle deutschsprachigen Ausgaben der „Schachnovelle“ (1942 Buenos Aires, 1943 Stockholm, div. Ausgaben nach dem Krieg, Frankfurt am Main) viele eigenwillige Änderungen und Eingriffe in den Text aufweisen, konnte 2013 im Reclam-Verlag erstmals der unveränderte Originaltext der Erzählung veröffentlicht werden, in jener Fassung, die Zweig am 21.Februar 1942 in Petrópolis zur Post gebracht hat.

Prof. Dr. Klemens Renoldner ist Gründungsdirektor des „Stefan Zweig Zentrums“ der Universität Salzburg. Er leitete dieses Forschungs-Institut von 2008-2018. Er ist Herausgeber der kommentierten Ausgabe der „Schachnovelle“ (2013, Reclam-Verlag), der neuen Edition des erzählerischen Werkes von Stefan Zweig (seit 2017, Zsolnay-Verlag) und des Stefan Zweig-Handbuches (de Gruyter-Verlag, 2018).

Interview mit dem Hauptdarsteller Oliver Masucci

Beschreiben Sie bitte kurz die Zusammenarbeit mit Philipp Stölzl. Er soll ja ein Regisseur auf Augenhöhe sein. War das sehr inspirierend?
Total. Philipp ist ein ganz feiner Mensch und ein sehr emphatischer Regisseur. Man fühlt sich von ihm respektiert und getragen. Er schaut sich alles ganz genau an und macht dann einen konkreten Plan. Andererseits lässt er sich auch von neuen Ideen beeindrucken und inspirieren. Er ist sehr genau, sehr offen, sehr warm. Für den Film habe ich das ehrlich gesagt auch gebraucht. Ich habe eigentlich schon beim ersten Casting überlegt, ob ich mich wirklich mit Schizophrenie beschäftigen möchte. Es gibt ja manchmal Dinge, in die will man persönlich gar nicht so genau eindringen. Als Schauspieler versuche ich die Figur, die ich spiele zu durchleben und ihre Gefühle und Nöte für den Zuschauer erfahrbar zu machen. Und da hatte ich bei diesem Film in Philipp einen großen Beschützer, den ich auch brauchte. Philipp hat eine ganz große und genaue Vision von dem, was er tut. Das ganze Drehbuch war aufgezeichnet. Ich habe es ein Dreivierteljahr vor Drehstart bekommen und wusste genau, wie der Film in jeder Einstellung aussehen soll. Das hatte ich so noch nie bei einem Film. Und trotzdem kann er sich auch davon lösen und geht andere Wege mit. Manche Sachen haben sich als wahnsinnig gut herausgestellt und bei anderen hat es so nicht funktioniert. Aber es war sehr detailliert und genau ausgearbeitet.

Die Rolle des Dr. Bartok wurde für den Film auch ein wenig weiterentwickelt. Waren Sie hier beteiligt?
Ich vertiefe mich eigentlich in meine Rollen immer erst, wenn die erste Klappe fällt. Ich muss mich selbst davor schützen, nicht zu früh einzusteigen, weil man dann schwer wieder rauskommt. Ich nenne es Selbsthypnose. In dem Moment, in dem man in eine Rolle einsteigt, betrachtet man alles um sich herum von der Perspektive dieser Figur heraus. Und diese Perspektive ist in diesem Film ziemlich heftig, weil der Mann sehr viel durchleidet. Es ist ein Schmerzensweg, den er da geht. Das war etwas, mit dem ich mich nicht zu lange beschäftigen wollte. Die vier Monate Drehzeit haben mich sehr mitgenommen. Dazu kam noch das Abnehmen, weil meine Figur im Film sehr abmagert. Ich war ehrlich gesagt ein wenig froh, als es vorbei war.

Was treibt Ihrer Meinung nach Dr. Bartok im Film an?
Er wollte sich dem Ganzen nicht beugen. Es ist ein Schachspiel gegen seine Peiniger, die Nazis. Und es geht darum, zu gewinnen. Und gewinnen kann er nur, wenn er in den Wahnsinn abgleitet. Alles spielt sich im Kopf ab. Im Gehirn eines Menschen, der im Prinzip noch versucht diesem System etwas entgegenzusetzen. Und nicht, weil er ein großer Revolutionär ist, gar nicht. Bartok ist ein Bonvivant aus der Wiener Gesellschaft. Am Anfang des Films auch ein wenig unsympathisch und überheblich. Er denkt, Österreich wird die Annektierung schon verhindern. Dann gerät er in die Fänge von etwas, was er sich gar nicht vorstellen konnte und versucht dagegenzuhalten. Es wird zu einem Duell zwischen ihm und seinem Peiniger. Er hält aber nicht dagegen, weil er revolutionär ist, sondern weil die Nazis ihm wahnsinnig auf den Keks gehen. Er geht diesen Schmerzensweg, weil er die Nazis einfach scheiße findet und sich vor denen nicht beugen will. Und nun hält er gegen seinen Peiniger stand und flüchtet sich in den Wahnsinn. Das ist auch das Autobiografische zu Stefan Zweig, dass ihn die Umstände wahnsinnig gemacht haben oder depressiv. Wenn die Gesellschaft so ist, dass man in ihr nicht mehr leben kann, dann spaltet sich das Individuum auf. Und diese Figur, die sich in diesem Zwiespalt befindet, die gegen sich selbst kämpft bis zur Schizophrenie, ist wahnsinnig spannend.

Welche Szene war für Sie am schlimmsten zu spielen?
Das Aufsagen der Schachzüge und die Situation, die sich dahinter verbirgt: Dieser Mann, ganz allein mit sich und der Erkenntnis des Wahnsinns. Das ist sehr leidvoll. Ich war fast in jeder Bildeinstellung, weil der ganze Film aus der Perspektive meiner Figur erzählt. Das verlangt viel Konzentration, und diese dauerhaft zu halten war sehr anstrengend. Dazu eben dieses Leid. Wie kann man nur anderen Menschen so ein Leid zufügen? Diese Freiheitsberaubung, bis man nicht mehr weiß, wer man ist. Bis die Zeit aufhört zu ticken und man nichts mehr einordnen kann. Diese vollkommene Entfremdung von sich selbst. Und trotzdem das Dagegenhalten, irgendwie noch ein Fünkchen von sich zu behalten, während das Ego immer kleiner wird. Einen Menschen zu spielen, dem so Gewalt angetan wird, war nicht einfach. Und eben diese 20 Schachzüge herunterrattern. Für einen Schachspieler ist das wahrscheinlich einfach. Oh mein Gott. Das müssen spezielle Menschen sein.

Sie haben Albrecht Schuch, der im Film Ihren Peiniger spielt, erst zu den Dreharbeiten kennengelernt. Wie war die Zusammenarbeit?
Sehr gut. Ich schätze Albrecht sehr. Er ist ein toller Schauspieler, und es hat mich sehr gefreut, mit ihm zu spielen. Wenn man auf jemanden trifft, der die Kraft und die schauspielerische Gewalt von Albrecht Schuch hat, ist das herrlich. Der ganze Film ist ein einziges Duell zwischen Albrecht Schuch und Oliver Masucci. Das macht natürlich total Spaß.

Was meinen Sie, warum besitzt die „Schachnovelle“ auch heute noch weltweit so eine literarische Kraft?
Die Nazizeit spielt sich hier mehr im Kopf ab und nicht in der Abbildung des Schreckens. Man nimmt das Furchtbare im Kopf wahr. Jeder kann sich an die Novelle erinnern. Sie spricht einfach eine Urangst an: Ein Mensch ist in einem Raum isoliert und eingesperrt. Es ist ja noch einmal anders als Gefängnis. Man ist allein mit sich und seinem Wahnsinn. Einige können sich vielleicht noch am Rand der Normalität entlang hangeln und andere fallen hinunter. Das zeigt, wie schnell man als Mensch gebrochen werden kann. Ich kenne eigentlich keinen, der sich nicht an diese Geschichte erinnern kann. Vielleicht auch, weil sie so kompakt und schnell erzählt ist.

Sehen Sie aktuelle Bezüge in der Novelle?
Stefan Zweig ging daran zugrunde, dass er dachte, die Nazis gewinnen den Krieg. Diese Vorstellung ist natürlich schrecklich. Heute gibt es wieder solche Strömungen. Dieser Rechtsdruck, den wir gerade erleben, ist enorm. Und er ist alles andere als gut.

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